Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Markolf

Aber es konde sich endlich kein baum finden, der dem Marcolpho hette können wolgefallen, bis das endlich der fürnemster Adiaphorist [Philipp Melanchthon] klar sagt, er woll die Adiaphora gantz vnd gar nicht verdamnen, noch jemand der dabey gewesen nur pregrauiren [belästigen] oder beschwehren. (Matthias Flacius Illyricus: Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtümer (1558); unsere Ausgabe Bd. 2, S. 802,17–803,1)

Bei dem hier von Flacius verwendeten Verweis auf Markolf handelt es sich um eine Anspielung auf das im späten Mittelalter und in der Reformationszeit populäre Spruchgedicht von „Salomo und Markolf“, das 1487 erstmals in deutscher Sprache erschienen war. Darin symbolisiert die Gestalt des König Salomo das gelehrte Herrscherideal und die des Markolf die niedere Intelligenz eines Bauern. Das Werk zeichnet sich dadurch aus, das die bäuerliche Vernunft gegen die gelehrte Welt siegt. Ein Beispiel dafür stellt die Geschichte dar, auf die Flacius hier rekurrierte. Der zum Tod durch Erhängen verurteilte Markolf darf sich auf Geheiß des Königs den Baum dafür selbst aussuchen. Die Diener des Königs führen ihn zu diesem Zweck durch das „tal Josaphat“ zur Stadt Jericho und schließlich „gen Arabia, || viel der pawm warn da, || der Markolfus keinen erkoß, || die diner auch der mwe [Mühe] verdroß. || Also gepunden furtn sie in || dem konig wider heim hin || vnd sagtn im die geschicht, || daz sie funden des pawms nicht, || den Markolfus wolt erwelen“. [Salomo und Markolf, 1803–1817] Daraufhin ließ der König Markolf frei.

Im Jahr 1557 fanden zwischen Flacius und Philipp Melanchthon Vergleichsverhandlungen in Coswig statt. Diese Gespräche fasste Flacius ein Jahr später in der hier zitierten Schrift so zusammen, „das wir stets (Gott weis es) weichen, nachgeben vnd gelindere conditiones pacis suchen vnd willigen musten.“ [Ebd., S. 802,15–17]  Trotz der von Flacius behaupteten Kompromissbereitschaft von seiner Seite, sei es zu keiner Einigung in der Frage der Adiaphora gekommen, da Melanchthon schlussendlich die Lehre von den Adiaphora nicht habe verdammen wollen. Die Verwendung der Person des Markolfs diente Flacius bei der nachträglichen Betrachtung des Verhandlungsverlaufs zur Polemik gegen den Wittenberger Professor, um diesen als zaudernden, zu keinen klaren Entscheidungen fähigen Menschen zu charakterisieren. Da die Person Markolfs überdies als ein Ausbund an Erfindungsreichtum und Verschlagenheit angesehen wurde, möchte Flacius hier das Zaudern Melanchthons eventuell auch als ein gewieftes Taktieren verstanden wissen.

Lit.: Zu den lateinischen und deutschen Ausgaben des Gedichtes vgl. VD 16 S 1477–1488; vgl. zudem: Walter Hartmann, Salomo und Markolf. Das Spruchgedicht, Diss. Marburg 1928, Gräfenhainichen 1934; Sabine Griese, Salomo und Markolf – ein literarischer Komplex im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Studien zu Überlieferung und Interpretation, Diss. Regensburg 1995, Tübingen 1999; Art. Markolf, in: Wander 3 (1873), 463.     (J. M. L.)

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