Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Ahitophel

Als aber Ahitofel sah, dass sein Rat nicht ausgeführt wurde, sattelte er seinen Esel, machte sich auf und zog heim in seine Stadt und bestellte sein Haus und erhängte sich ... (II Sam 17,23) Aus einer Hs. der Weltchronik des Rudolf von Ems, 14. Jh.
„Das also alle frome hertzen, welche gern bey Christo rein vnnd allein bleiben vnd jhn fur dieser argen Welt bekennen wöllen, an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben, jre bekentnis gleicher gestalt fur den Achitofeln vnd Tyrannen, so offt es von nöten, zu füren odder auch, wem es Gott gibt, zu uerbessern.“ (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg.), „Leipziger Interim“ von 1548 (1550), B 1v, in: unsere Edition Bd. 2, 370,33–371,2).

 

Ahitophel (in der Vulgata: Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Königs David, der abtrünnig wurde, indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15–17). Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstände während des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus dient der Parallelisierung zu ihrer Gegenwart. Der verratene König David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfürsten Johann Friedrich d. Ä. von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen sächsischen Kurfürsten Moritz gleichgesetzt.

 

Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einhergehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16. Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer überaus beliebten Schmähung, was in ihren Schriften oder Publikationen, an denen sie beteiligt waren, zu einem geradezu inflationären Gebrauch führte [vgl. Matthias Flacius Illyricus, Widder den Auszug (1549), A 4r und B 1r, in: unsere Edition Bd. 2, 30,23 und 32,10 / ders., Von wahren und falschen Mitteldingen (1550), F 4r und M 2r, in: ebd., 191, 3.5.9 und 249,24; in der lateinischen Ausgabe dieses Texts: A 1v und D 1r = 190,2.4.7 und 248,20 / Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg.), „Leipziger Interim“ von 1548 (1550), B 2v; B 4r; H 2v; M 1r, in: ebd., 373,3; 375,5; 405,25; 424,21 / Magdeburger Bekenntnis (1550), J 4r; P 4r, in: ebd., 549,29; 613,36–615,1; in der lateinischen Ausgabe dieses Texts: F 2r; F 2v; K 1r = 548,16; 550,10; 614,2 / Matthias Flacius Illyricus, Die vornehmsten adiaphoristischen Irrtümer (1558), B 3r, in: ebd., 795,26 und 796,7].   (J. M. L.)

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