Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Papist

Aber jr elende Gotlose heuchler vnd Papisten, es hilfft euch doch nicht ewer vnsinnig rasen vnn toben, denn das jr ein verlorne sachen habt, gibt euch nicht allein ewer gewissen zeugnis, welchs euch so verzagt macht, das jr nicht dürfft ans licht ewer sachen tretten oder die selbigen frey öffentlichen erkennen lassen, sondern auch das rechtschaffene warhafftige Concilium der rechten Christlichen Kirchen, das ist: alle fromme Gotförchtige leut sprechen, das jhr vnrecht seidt, vnd fallen vns bey, sobald als sie gründtlichen bericht vnser sachen verstanden haben. (Matthias Flacius Illyricus, Eine gemeine Protestation (1548), unsere Edition Bd. 1, Nr. 5, S. 159,1623).

Der Begriff "Papist" wurde von Martin Luther im Zuge seiner Auseinandersetzungsetzungen mit dem römischen Papsttum für alle Anhänger des Papstes kreiert. Dieses Schimpfwort avancierte zu einem der populärsten Schlagworte der Reformationszeit. Luther intendierte damit, die Anhänger des Papstes als Repräsentanten einer Partei darzustellen, die nicht nur Irrlehren verbreite, sondern auch alles daran setze, diese Häresien mit Hilfe des weltlichen Machtanspruchs des Papstes und der römischen Kirche den Rechtgläubigen nach Luthers Selbstverständnis also sich selbst und den anderen Evangelischen notfalls gewaltsam zu oktroyieren.

Für das Deutungsfeld des Begriffs muss unbedingt berücksichtigt werden, dass Luther spätestens seit seiner Schrift "Adversus execrabilem Antichristi bullam" aus dem Jahr 1520 (vgl. WA 6, 595–612, die deutsche Fassung "Wider die Bulle des Endchrists" ebd., 613–629) die Überzeugung vertrat, dass es sich beim Papst um den Antichristen handle. Die Anhänger des Papstes wurden von Luther somit als Agenten des Antichristen charakterisiert, die keinerlei Interesse an einer "reinen und lauteren" Verkündigung des Gotteswortes besäßen, sondern durch die Verbreitung von Irrlehren die Kirche verwirren und damit die Verteidigung und Durchsetzung ihrer weltlichen Herrschaftansprüche bewerkstelligen wollten.

Flacius verwendete den Begriff hier im Kontext seines Kampfes gegen das Augsburger Interim, da für ihn das kaiserliche Religionsgesetz einen neuerlichen Beweis für die verweltlichte, widergöttliche Machtgier der Gegner darstellte.

Zu erwähnen ist noch, dass das Schlagwort relativ rasch, also noch in der ersten Hälfte der 1520er Jahre, von den innerevangelischen Gegnern Luthers (z.B. Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt) gegen den Wittenberger Professor selbst verwendet wurde, indem man ihn und seine Anhänger als die "neuen Papisten" bezeichnete.

Lit.:

Hans-Joachim Diekmannshenke, Die Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (1520–1536). Spuren utopischen Bewußtseins, Diss. Bonn 1992, Frankfurt/Main u.a. 1994 (EHS.DS 1445), bes. 128–135.

Friedrich Lepp, Schlagwörter des Reformationszeitalters, Leipzig 1908 (Quellen und Darstellungen aus der Geschichte des Reformationsjahrhunderts 8), bes. 70f.

[J.M.L.]

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