Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Mordkräher

"Nu wollen wir auff dieses Mordkrehers Argument antworten vnd anders nicht, als das meniglich [jedermann] in die Acta gefüret werden vnd allen Bericht gegen den vnrhuigen, leichtfertigen, vnwaren Schreiern daselbst holen." (Wittenberger Studenten, Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis (1560), unsere Edition, Bd. 2, Nr. 10, S. 886,47)

In Mordfällen war im Gerichtsverfahren an manchen Orten vorgesehen, dass eine vom Gericht verordnete Person bei der Verurteilung eines Mörders im Namen der ermordeten Person „Zeter“ und „Mordio“ und damit nach Verfolgung und Bestrafung des Mörders schrie (vgl. unseren Art. Blutschreier)

Nikolaus Gallus wurde von den Wittenberger Studenten mit einem solchen "Mord-" bzw. "Blutschreier" verglichen, da er den Wittenberger Theologen vorhielt, die Lehre von den Adiaphora (den freigelassenen Mitteldingen) einzig aus opportunistischen Gründen ersonnen zu haben und damit dem Antichristen zu dienen und Gottes Gebote vorsätzlich zu missachten (vgl. z.B. Nikolaus Gallus, Responsio de libro Professorum Wittenbergensum ..., [Regensburg: Heinrich Geißler, 1559] (VD 16 G 289), eine dt. Übersetzung des Werkes erschien im selben Jahr, VD 16 G 290).

Aus Sicht der Wittenberger Studenten war der Ruf des Gallus nach Verfolgung und Bestrafung der Wittenberger Theologen wegen der Lehre von den Adiaphora jedoch ungerechtfertigt. Denn eine Preisgabe der evangelischen Lehre und damit die Verleugnung der göttlichen Wahrheit sei niemals die Intention der Wittenberger Theologen gewesen. Die Studenten polemisierten daher gegen Gallus, indem sie ihn als einen "Mordkräher" verspotteten, in Anspielung auf seinen Namen: Gallus (dt. der Hahn). Der eigentlich so ernste Hintergrund des "Mordschreis" wurde dadurch ins Gegenteil verkehrt und das Anliegen des Gallus der Lächerlichkeit preisgegeben.

Lit.:

Art. Mordschrei, in: DWb 12, 2552.

[J.M.L.]

Zur Übersicht