Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Dompropst

"Vnd weis der schnöde Man dem verstorbenen Fürsten in seinem Grabe keine grössere schmach in seinem sinne auffzuthun, denn das er jnen verechtlich Probst vnd Thumbprobst nennet [...]." (Wittenberger Studenten, Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis (1560), unsere Edition Bd. 2, Nr. 10, 934,1315)

Matthias Flacius nannte Georg III., den Gottseligen von Anhalt einen Propst und Dompropst (Vgl. Matthias Flacius Illyricus, Gründliche Verlegung des langen Comments der Adiaphoristen [...], [Jena: Donat Richtzenhan, 1560] (VD 16 F 1413), N 1rN 2r). Dies ließe sich schlicht als Tatsachenbeschreibung verstehen, da der Anhaltiner Fürst seit dem Jahr 1548 das Amt eines Dompropstes zu Meißen inne hatte.

Ganz ähnlich hatte Flacius den Begriff "Domherr" im Jahr 1550 auf dem Titel einer Schrift verwendet, um damit Johann Pfeffinger zu charakterisieren (Matthias Flacius Illyricus, Widder die newe Reformation D. Pfeffingers, des Meisnischen Thumbherrn [...], [Magdeburg: Christian Rödinger d.Ä., 1550] (VD 16 F 1562). Im Text selbst wurde die diffamierende Absicht sichtbar, da Flacius dort häufiger von Pfeffinger als "Thumbpfaff" sprach (vgl. Blatt A 3v, B 4v, C 4v, D 2r u. öfter).

Beide, Pfeffinger und Georg III., waren 1548/49 maßgeblich in die Kirchenpolitik Kurfürst Moritz' von Sachsen eingebunden. Pfeffinger gehörte zu den Hauptakteuren in den Verhandlungen die zur Abfassung der Leipziger Landtagsvorlage führten und Georg III. erstellte federführend auf Basis der Leipziger Landtagsvorlage eine neue Kirchenordnung für das Kurfürstentum, die jedoch nicht publiziert wurde.

Die Wittenberger Studenten erkannten daher in der Bezeichnung Georgs als "Dompropst" zu Recht eine Verunglimpfung. Denn Flacius beabsichtigte durch die Verwendung der Begriffe "Dompropst", "Propst" oder "Domherr" die so titulierten Personen einerseits als käuflich darzustellen. So behauptete er z.B., Pfeffinger erhielte als Domherr in Meißen 300 Goldgulden (vgl. Blatt E 3r). Flacius stellte damit eine Verbindung zu der den Reformatoren so verhassten Pfründenwirtschaft her und erweckte den Eindruck, dass die Pfründeninhaber das Lied desjenigen sängen, von dem sie Geld erhielten. Die Zustimmung Pfeffingers zur Lehre der Adiaphora erschien damit als gekauft.

Überdies rückte Flacius die angesprochenen Personen durch die Verwendung hergebrachter Titel für kirchliche Würdenträger andererseits in die Nähe der Altgläubigen. Durch ihre Verstrickung in die kursächische Kirchenpolitik der Jahre 1548/49 hatten Pfeffinger und Georg III. für Flacius die evangelische Lehre verraten und einen Vergleich zwischen "Christus und Belial" angestrebt.

Flacius gab den Begriffen "Dompropst, Propst Domherr" somit einen anderen Bedeutungsgehalt. Seine Leserschaft sollte in Georg III. und Pfeffinger Theologen erkennen, die aus eigensüchtigem Gewinnstreben von der göttlichen Wahrheit hin zum "Antichristen" abgefallen waren. Dieser Sicht traten die Wittenberger Studenten entschieden entgegen.

[J.M.L.]

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