Ärgernisrufer
... weiset sich greifflich aus, das diese Ergernisruffer auch hierin Cameluerschlinger vnd Muckensichter sein, als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht schewen, vnd sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennen. Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis (1560), unsere Ausgabe Bd. 2, Nr. 10, S. 899,7-11.
Ein Ärgernisrufer ist ein Mensch, der lautstark auf tatsächliche oder vermeintliche Missstände aufmerksam macht, eine treffende neuzeitliche Entsprechung wäre wohl "Whistleblower". So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem gewissen Recht nennen dürfen, ohne seinem Selbstverständnis Gewalt anzutun. Die Wittenberger Studenten, die in ihrer Schrift »Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis …« (1560) den Flacius und seine Anhänger als »Ergernisruffer« apostrophieren, werfen ihren Gegnern vor, heuchlerisch Missstände anzuprangern, wo keine seien, und tatsächliche Missstände geflissentlich zu übersehen (vgl. Kamelverschlinger und Mückenseiher). Außerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz, über Skandale zu urteilen. Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit, die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pflegt, die »der Katze die Schelle anhängen«, also einen Missstand namhaft machen. Nicht selten wird der Vorwurf der "Nestbeschmutzung" nicht etwa gegenüber denjenigen erhoben, die einen Missstand verursacht haben, sondern gegenüber denjenigen, die ihn öffentlich machen, um Abhilfe zu schaffen.
"Ärgernisrufer" findet sich nicht als Lemma in Grimms Wörterbuch oder im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch.
Vgl. auch den Art. Lärmenblaser (noch in Arbeit).
(H.-O. S.)