Blutschreier
"Auff diesen setzt er abermals als erstritten vnd erwiesen dieses folgende Zeter- vnd Mördergeschrey vber vnsere Theologos. Denn wir nicht wüsten, wie sie der Blutschreier grewlicher ausruffen köndte, wenn sie dem Hencker an den strick vbergeben weren, [...]." (Wittenberger Studenten, Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis (1560), unsere Edition, Bd. 2, Nr. 10, S. 886,4–7)
Nikolaus Gallus hatte die Wittenberger Theologen scharf für die Lehre von den Adiaphora (den freigelassenen Mitteldingen) kritisiert und attackiert. Er hatte ihnen vorgehalten, aus rein opportunistischen Gründen diplomatische Rücksicht gegenüber dem Kaiser walten zu lassen und damit die in der evangelischen Lehre wieder ans Licht gebrachte göttliche Wahrheit preiszugeben. Sie würden damit dem Antichristen dienen und Gottes Gebote vorsätzlich missachten (vgl. z.B. Nikolaus Gallus, Responsio de libro Professorum Wittenbergensum ..., [Regensburg: Heinrich Geißler, 1559] (VD 16 G 289), eine dt. Übersetzung des Werkes erschien im selben Jahr, VD 16 G 290).
Die Wittenberger Studenten antworteten darauf, indem sie Nikolaus Gallus mit einem "Blutschreier" verglichen. Denn an einigen Orten wurde vom Gericht eine Person verordnet, die bei der Verurteilung eines Mörders im Namen der ermordeten Person „Zeter“ und „Mordio“ schrie (vgl. unseren Art. Mordkräher). So wie ein "Blutschreier" dies tue, so schreie Gallus überaus öffentlichkeitswirksam gegen die Wittenberger Theologen. Allerdings sei das Verhalten des Gallus vollkommen ungerechtfertigt, so die Wittenberger Studenten, da die Wittenberger Theologen all das, was Gallus ihnen zur Last lege, nicht getan hätten und er dies auch nicht beweisen könne.
Lit.:
Art. Blutschreier, in: DWb 2, 191.
Art. Zeter, in: Theodor Heinsius, Vollständiges Wörterbuch der deutschen Sprache mit Bezeichnung der Aussprache und Betonung für die Geschäfts- und Lesewelt, IV. Band, Wien 1830, 835.
[J.M.L.]