Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Corruptelist

"Derwegen, wie fein Christlich vnnd gemes das man den vorigen handel jetzt handelt, ist auch aus dem allein zu mercken, das, so sehr man zuuor allen verfelschern vnd Corruptelisten zuwider gewesen ist vnnd sie nirgend hat im dienst leiden wöllen, also freund ist man jnen jetzt, vnd dagegen die trewe vnd ware Lehrer Christi hasset man." (Matthias Flacius Illyricus, Erzählung, wie der Religionsstreit Victorini geschlichtet (1563), unsere Edition, Bd. 5, Nr. 15. S. 710,2226)

Im ernestinischen Herzogtum Sachsen brachen im Zuge der Erstellung des Konfutationsbuchs (1559, unsere Edition Bd. 5, Nr. 9) unter den Theologen Konflikte über die Frage der namentlichen Verdammung der Irrlehren auf. Überdies entstand eine Kontroverse zwischen Matthias Flacius und Victorin Strigel über den freien Willen des Menschen (vgl. dazu unsere Edition Bd. 5).

Herzog Johann Friedrich II., der Mittlere, von Sachsen versuchte mit Hilfe einer Disputation in Weimar 1560 den Streit zu entscheiden, was jedoch misslang. Da die Streitigkeiten in der Folge zu weiteren gegenseitigen Attacken und Ausschlüssen vom Abendmahl führten, griff der Herzog ein. Er beanspruchte 1561 für sich, über die Verhängung des Kirchenbanns zu entscheiden, untersagte den Jenaer Theologieprofessoren das Predigen, verbot universitäre Disputationen, wollte die Theologen einer strengen Zensur unterwerfen und erließ eine Konsistorialordnung. All diese Maßnahmen stießen auf heftige Kritik der Theologen, da sie im herzoglichen Verhalten einen Übergriff der weltlichen Gewalt in geistliche Belange erkannten. Im Jahr 1562 entließ der Herzog schließlich die Jenaer Theologieprofessoren.

Flacius wehrte sich dagegen publizistisch und kritisierte die angeblich wetterwendische Politik des Herzogs. Ehedem habe Johann Friedrich II. mit dem Konfutationsbuch die Verfälschungen (lat. corruptela) in der Lehre klar benennen und verurteilen lassen. Nun habe sich "in einem Huy" "das AprilWetter" (Matthias Flacius Illyricus, Erzählung, wie der Religionsstreit Victorini geschlichtet (1563), unsere Edition, Bd. 5, Nr. 15. S. 710,14 und 16) geändert und man sei den Verfälschern und Verführern Freund geworden, während man die Verteidiger der Wahrheit, so die Selbstwahrnemung des Flacius, verurteile und des Landes verweise. Damit sei der Herzog nun selbst zu einem Verfälscher Wahrheit, zu einem "Corruptelisten" geworden.

Lit.:

Friedhelm Gleiß, Die Weimarer Disputation von 1560. Theologische Konsenssuche und Konfessionspolitik Johann Friedrichs des Mittleren, Leipzig 2018 (LStRLO 34)

[J.M.L.]

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