Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Detzel

Auff das aber solches der Sathan desto füglicher ausrichten könte, so hat er den Meistern oder Detzeln so vil erklerung oder Glossen vnd deuteleyen eingeben, damit sie die einfeltigen bethoren vnnd betriegen, das sie schier hundertmal widerwertige [widersprüchliche] ding reden vnnd sich selbst lügenstraffen [...] (Matthias Flacius Illyricus (Hg.), Erzählung, wie der Religionsstreit Victorini geschlichtet, 1563, unsere Ausgabe Bd. 5, Nr. 15, S. 706,23-707,2)

Flacius dokumentiert in seiner Ausgabe die Umstände, die zur Rehabilitierung seines Kontrahenten Victorin Strigel geführt haben. Grundlage dafür war die sogenannte "Declaratio Victorini". Darin legte Strigel seine Auffassung zur Willensfreiheit und zur Frage der Mitwirkung des Menschen an der eigenen Bekehrung dar, um die er in der Weimarer Disputation im August 1560 mit Flacius gestritten hatte. Strigel erhielt daraufhin am 24. Mai 1562 seinen Lehrstuhl an der Universität Jena zurück. Im Rahmen einer von Herzog Johann Friedrich II. dem Mittleren im Juli 1562 angeordneten Kirchenvisitation sollten sämtliche Pfarrer und Prediger im ernestinischen Sachsen durch Unterschrift ihre Billigung dieser Erklärung bekunden, auch wenn sie nicht unmittelbar verpflichtet wurden, Strigels Lehre zu übernehmen. Jegliche Kanzelpolemik gegen Strigel wurde untersagt. Verbindliche Lehrnorm blieben jedoch das Augsburger Bekenntnis und dessen Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und das Weimarer Konfutationsbuch. Gleichwohl gab es erhebliche Widerstände innerhalb der Pfarrerschaft des Territoriums. Deshalb versuchten die Visitatoren Johann Stössel und Maximilian Mörlin, durch ergänzende Interpretationen die Declaratio Victorini für die Pfarrerschaft leichter annehmbar zu machen und mit der überkommenen lutherischen Lehrtradition halbwegs in Einklang zu bringen, was nicht ohne zahlreiche Widersprüchlichkeiten abging.

Im zitierten Abschnitt spielt Flacius an auf diese Erläuterungen, nicht zuletzt auf jene Johann Stössels, die von den Kritikern „Superdeclaratio“ oder „Cothurnus Stosselii“ genannt wurde (weil der antike Kothurn an den rechten wie den linken Fuß passte).

Wenn Flacius hier von "Detzeln" spricht, ist wohl weniger an eine typisierende Pluralbildung zum Namen des hinlänglich bekannten Ablasspredigers Johann Tetzel zu denken, als vielmehr an eine Nebenform (im Diminutiv) zu „Dotsch, Dötsch, Dotz = Narr, Tölpel, grober Mensch“, vielleicht auch im Sinne von "Anfänger, Stümper"; jedenfalls handelt es sich wohl um eine quasi korrigierend nachgeschobene Invektive gegen die „Meister/Magister“. Vgl. Art. Dotsch 3), in: DWb 2, 1313; Art. Dotz, in: DWb 2, 1215 (wobei nicht auszuschließen ist, dass der Name Tetzel etymologisch auf Dotz o. dgl. zurückgeht).

Nicht alle Prediger ließen sich durch den drohenden Verlust ihrer Stellen, mögliche herzogliche Ungnade und sehr dehnbare Formulierungen zur Unterschrift bewegen, vielmehr verloren im Zuge der angeordneten Visitation etwa dreißig Pfarrer ihre Stellen, insgesamt mussten über vierzig Theologen wegen der Auseinandersetzungen um Strigel das ernestinische Sachsen verlassen. Strigel selbst wechselte bereits im Oktober 1562 an die Universität Leipzig.

Lit.: Friedhelm Gleiß, Die Weimarer Disputation von 1560. Theologische Konsenssuche und Konfessionspolitik Johann Friedrichs des Mittleren, Leipzig 2018 (LStRLO 34).

(HOS)

 

 

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