Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Ekelheiliger

"Vnd weis der schnöde Man dem verstorbenen Fürsten in seinem Grabe keine grössere schmach in seinem sinne auffzuthun, denn das er jnen verechtlich Probst vnd Thumbprobst nennet, sehet wunder zu, wie ist dieser Sanctissimus so ekel. Doctor Luthern seligen ist dieser Fürst gar ein lieber, werder vnd tewrer Probst gewesen, der von diesem Probst vnd Thumbprobsts Namen viel anders gehalten als der Ekelheilige Flacius, [...]." (Die Wittenberger Studenten, Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis (1560), unsere Edition Bd. 2, Nr. 10, S. 934,1319)

Die Wittenberger Studenten griffen Flacius in ihrer Schrift aus dem Jahr 1560 massiv an, wegen seiner Attacken auf Georg III., den Gottseligen, von Anhalt und dessen Beteiligung während der Verhandlungen in Kursachsen, die 1548 zur Abfassung der Leipziger Landtagsvorlage ("Leipziger Interim) führten sowie für seine federführende Rolle bei der Erstellung einer Kirchenordnung auf Basis der Leipziger Landtagsvorlage im Frühjahr 1549. Sie nannten Flacius eine "mörderische Hyena", die "dem Menschenfleisch in die Greber nachkröche vnd die verstorbenen mit [ihren ]zenen schenden" wolle (vgl. dazu unseren Artikel "Hyäne"), da Flacius auch nach dem Tod Georgs im Jahr 1553 seine Kritik nicht mäßigte, geschweige denn einstellte.

Offensichtlich nannte Flacius den Anhaltiner Fürsten auch nach dessen Tod weiterhin abschätzig einen "Dompropst", da Georg seit 1548 eben das Amt eines Dompropstes in Meißen inne gehabt hatte (vgl. dazu unseren Artikel "Dompropst"). Die Wittenberger Studenten reagierten nun darauf, indem sie Flacius als "Sanctissismus", als "Überheiligen" verspotteten, der "ekel" sei. Dies lässt sich dahin verstehen, dass sie Flacius als "abscheulichen, bösen, schlechten", mithin "Scheinheiligen" diskreditieren wollten.

Doch die Wittenberger Studenten gingen in ihrer Polemik gegen Flacius noch weiter. Versteht man das Wort "ekel" im Sinne von "empfindlich, blasiert, mimosenhaft", so erschließt sich, dass Flacius als selbstgefälliger Scheinheiliger charakterisiert werden sollte, der sich unverschämt das Recht herausnahm, aufgrund seiner eingebildeten Überheiligkeit andere, selbst wegen Nichtigkeiten, zu verurteilen. "Luther seligen", also ein echter Heiliger, habe Georg hoch geschätzt und seine Tätigkeit als Dompropst nicht mißbilligt. Flacius jedoch, der sich selbst für ach so fromm und rein hält, verurteilt Georg dafür. Damit wird Flacius zum "Ekelheiligen", zum "überkandidelten Etepeteteheiligen".

In diesem Zusammenhang ist zusätzlich auf eine Polemik Johann Pfeffingers gegen Nikolaus von Amsdorf hinzuweisen:

"So viel aber jtzund meine Disputation belanget, darumb mich der von Ambsdorff zum Ketzer vnd Schwermer machen wil vnd sagt, jch sey nicht allein von jm vnd seiner Secten (die nicht wollen Schwermer, sondern die aller reinesten, nicht Cathari, sondern Catharotati sein), sondern auch von 'Luthero, Paulo vnd Christo abgefallen, welche alle mich verdamnen'." (Johann Pfeffinger, Antwort (1558), unsere Edition Bd. 5, Nr. 5, S. 162,31163,2)

Amsdorf verurteilte Pfeffingers Disputationsthesen aus dem Jahr 1555, die zum Ausgangspunkt einer längeren Kontroverse über die Frage führten, ob der Mensch einen freien Willen und damit die Möglichkeit besäße, an seiner Rechtfertigung mitzuwirken. In Anlehnung an die mittelalterliche Sekte der Katherer ("die Reinen"), erklärte Pfeffinger in seiner Reaktion daraufhin Amsdorf zum Mitglied der Sekte der "Catharotati" ("die Allerreinsten, die Überreinsten").

Auch soll die in diesem Sinne vorgetragene Polemik Landgraf Wilhelms IV. von Hessen-Kassel gegen Jakob Andreae und andere Theologen nicht unerwähnt bleiben. Der Landgraf schrieb am 28. April 1592 an Markgraf Georg Friedrich I. von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach:

"Was aber betrifft, das wir Jnn vnserm vertrewlichen schreiben an E.L. ettwas wider die stoltze vnd Ehrgeitzige Theologos vnd Clamanten, die sich der rainen Augsp. Confession ruhmen, ein wenig invehiret [hier wohl: eingelassen] vndt Jhnen per Jroniam schuldt geben, das sie sich alleine vor die rainesten vndt heiligsten haltten, vndt wie E.L. Vetter Marggraff Albrecht zusagenn pflegtte, sich vor andern so rain hielten, das sie vnserm hern Gott die fueße abzubeißen vorgebnn, Da sie doch re ipsa nicht viel rainer wehren alß pannus etc., wie der Prophet [vgl. Jes 64,5, in der Vulgata 64,6] sagtt, seindt wir hirzu eintzig magnitate rei - vndt das sie sich vnderstehen, Jdermennig zu verdammen, zu schenden vnndt zu lestern, da sie doch hirzu vonn niemandts berueffen oder besteltt, sondernn billich nach der Lehr vnndt gebott Christi [vgl. Mt 7,3], die große Balcken, die sie Jnn Jhren eignen augen habenn, vonn ersten außziehen vnd darnach solche festucas [Halme, Splitter] Jnn Jhrer mittgesellen augen [...] - bewogen wordenn." (Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 4i, Nr. 141, nicht pag.)

Lit.:

Art. ekel, in: DWb 3, 396f.

Art. ekel, in: Götze, Frühneuhochdeutsches Glossar, 63

[J.M.L.]

 

 

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