Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Filcianer

Das müssen wir Gott befehlen, denn [den] es walten, vnd dieselben Flacianer sampt jrem Vater vnd Fürer Flacio jmer hin Flacianisiren vnd flattern lassen, bis sie des müde werden, vnd müssen dieselben vnbehawen Filcianer dennoch so viel daran setzen, wenn sie also on allen bescheid wider andere schreien wollen. (Wittenberger Studenten, Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis (1560); unsere Ausgabe Bd. 2, S. 927,33–928,1)

Die „Wittenberger Professoren“ veröffentlichten im Jahr 1559 eine umfangreiche Zusammenstellung von Aktenmaterial vom Ende der vierziger und dem Beginn der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts. Damit wollte sie den Beweis antreten, dass die damals handelnden Politiker und Theologen in Kursachsen mit der Lehre von den Adiaphora durchaus nicht die evangelische Lehre verfälscht und das Andenken Luthers verraten hätten. Nikolaus Gallus und Matthias Flacius Illyricus publizierten daraufhin Streitschriften, in denen sie das Gegenteil behaupteten. Das Autorenkollektiv der „Wittenberger Studenten“ verteidigte daraufhin 1560 die Veröffentlichung der „Wittenberger Professoren“ gegen diese Angriffe.

Die „Wittenberger Studenten“ unterstellten in ihrer Verteidigung, dass die Anhänger des Flacius nach dessen Willen nur dessen Publikationen zur Kenntnis nehmen sollten. Die Veröffentlichung der „Wittenberger Professoren“ würden die „Flacianer“ darum selbst gar nicht lesen, sondern darüber nur durch die Brille ihres Anführers unterrichtet, weil sie nichts wissen und verstehen wollten. Im Anschluss daran folgt das gebotene Zitat mit der polemischen Untermauerung dieses Argumentationsgangs.

Es findet sich hier nämlich mit „Filcianer“ eine ironische Verbindung der Worte „Filz“ und „Flacianer“. Da die Kleidung von Bauern in der damaligen Zeit häufig aus rauem, grobem Filz bestand, wurden mit „Filz“ in einem übertragenen Sinn bäuerische, ungehobelte Grobiane bezeichnet. Indem die „Wittenberger Studenten“ die Begrifflichkeiten mischten, suchten sie Flacius und seine Mitstreiter als eben solche ungeschliffenen Kerle zu diskreditieren, die eine eingeschränkte Sicht auf die Welt besaßen, nichts verstanden und andere Ansichten nicht zur Kenntnis nahmen.

 Lit.: Art. Filz 4), in: DWb 3, 1632f.    (J. M. L.)

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