Harpyie

Daß der Churfürst gfangen ist, ist jm auch darzu gut, das er ist loß vnd ledig worden von den vnflätigen Harpijs vnd vnsinnigen, vnnützen Bauchknechten vnd falschen freünden, die sehr vil guts gehindert haben, wie D. Martinus oft geklagt hat. Erasmus Alber, Dialogus vom Interim (1548), unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 11, 676,6-9.
Die Harpyien sind ursprünglich eine Gruppe antiker Fabelwesen weiblichen Geschlechts, über deren konkrete Gestalt wenig bekannt ist. Immerhin besteht darüber weitgehend Einigkeit in den Quellen, dass die Mischwesen gefiedert sind und über scharfe Krallen verfügen, meist gelten sie als schmutzig (vgl. im Zitat: unflätig). Die Krallen sind kennzeichnend für die hervorstechendste Charaktereigenschaft, die man mit ihnen in Verbindung bringt, nämlich die Raffgier.
In unserem Zitat nennt der Unterredner Cornelius eine positive Wirkung der Gefangenschaft des vormaligen Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen infolge seiner Niederlage im Schmalkaldischen Krieg: heuchlerische Berater und falsche Freunde, die sich vormals auf der Jagd nach privaten Vorteilen um den Kurfürsten drängten, hätten sich nun in der Zeit der Not von ihm zurückgezogen, so dass er von ihren verderblichen Einflüsterungen befreit sei.
Auf dem sogenannten Philippstein in Kloster Haina, 1542 geschaffen von Philipp Soldan, ist neben der Heiligen Elisabeth und über dem armen Lazarus eine angekettete Harpyie abgebildet. Damit soll verdeutlicht werden, was auch in den beigegebenen Schrifttafeln ausgesprochen wird: Indem Landgraf Philipp von Hessen (auf der linken Seite dargestellt) das vormalige Kloster aufhob und in ein Hohes Landeshospital umwidmete, habe er ein Harpyiennest zerstört; die karitative Verwendung des Klosterguts sei demgegenüber ganz im Sinne der Ideale seiner Vorfahrin und achte die ursprünglichen Stiftungszwecke (entsprechend verfuhr Philipp auch bei der Gründung der Landeshospitäler Merxhausen, Gronau und Goddelau).
In neuerer Zeit wurde der Name Harpyie übrigens einer mittel- und südamerikanischen Greifvogelart beigelegt.
Vgl. Jan N. Bremmer, Art. Harpyien, in: Der Neue Pauly, Bd. 5 (1998), 166. (H.-O. S.)