Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Pflaumenstreicher

[Wir bitten ...] das vnser lieber herr Christus vns alle wolle behüten für alle lose, verfürische vnd verdamlichen lere der Epycureischen Plaumenstreicher vnd Bauchknechte, die vnter dem schein Christlicher freiheit die leute bereden, das es gleichviel sei, in wasserlei eusserlichen Religion, papistisch, türckisch, judisch oder Jnterimisch der mensch lebe vnd das er darinnen selig künne werden, wenn er allein im hertzen glaube. Jtem das im falle der nott, fahr vnd schaden zu vermeiten, nicht Sünd sey, auch an ewiger seligkeit nicht hindere, von erkanter warheit vnd angenommener Religion Christi abfallen, die verleugnen vnd in ein Gottloß wesen vnd mißbreuche bewilligen, welche lugen gegen Gottes wort vnd aller Heiligen vnd Martirer Exempel strebet. Bekenntnis und Erklärung aufs Interim (1548), unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 9, S. 296,7-17.

Die Bezeichnung "Pflaumenstreicher" hat nichts mit dem Steinobst zu tun (prunus domestica), sondern mit dem weichen Flaum des Federviehs, lateinisch: pluma. Der Pflaumenstreicher prüft durch Entlangstreichen und Abtasten, also durch zweckgerichtetes vermeintliches Liebkosen, wo sich im Zuge der jährlichen Mauser Daunen gelockert haben und gerupft werden können - vom lebenden Tier, im Unterschied zum Rupfen nach der Schlachtung.

Das Wort soll auch jemanden bezeichnen, der Flaumfedern von jemandes Kleidung abklaubt, den Betreffenden so säubert und eventuelle Negativa beschönigt. Diese Erklärung ist u. E. allerdings nicht wirklich überzeugend; zwar wird in diesem Zusammenhang gern auf die Wendung "nicht viel Federlesens machen" verwiesen, doch könnte man dies auch von ungeduldigem Rupfen statt des schonenderen Abnehmens bereits lockerer Federn verstehen.

Im übertragenen Gebrauch meint man jedenfalls damit einen heuchlerischen Schmeichler, der unter dem Schein persönlicher Anteilnahme und Freundlichkeit auf den eigenen Vorteil aus ist (vgl. Fuchsschwänzer, Ohrenkrauer).

Vgl. Art. federlesen, in: DWb 3, 1404f; Art. Pflaumenstreicher, in: DWb 13, 1731; Art. [1]pflaume, in: Fnhd.Wb. 4, 188.        (H.-O. S.)

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