Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Rotte, Rottengeist, Rottgesellen, Rottenmeister

Bestrafung der Rotte Korach (nach der "Bibel in Bildern" [1860] von Julius Schnorr v. Carolsfeld)
... es ist fürwar die jetzige Welt an den orten, da man sich des Christlichen namens rhümet, so voller secten vnd Rotten wütens vnd tobens, das es zu erbarmen vnd Gott dem Allmechtigen billich vnd hoch zu klagen ist. (Abdias Praetorius, Von der Rechtfertigung und guten Werken (1562), unsere Ausgabe Bd. 4, Nr. 7, S. 163, Z. 14-17.)

 Abdias Praetorius klagt - wie viele seiner Zeitgenossen - über die zahlreichen Rotten, die sich in Glaubensfragen gebildet haben, Gruppierungen mit mehr oder weniger ausgeprägten Sondermeinungen gegenüber der orthodoxen Kirchenlehre, "Secten", wie er selbst im Hendiadyoin sagt. Dabei impliziert das Wort "Rotte" zugleich etwas Unrechtmäßiges, Ungeordnetes, Aufrührerisches, so dass vom "Wüten und Toben" der Rotten geredet werden kann.

Ursprünglich hängt dieses Ungeordente dem Wort nicht an, sondern man bezeichnete damit eine Schar, eine Abteilung, eine Gruppe, insbesondere auch bei den Landsknechten. Wenn sie sich formierten, standen die Angehörigen einer Rotte, die Rottgesellen, hintereinander, voran ging der Rott(en)meister. Auch diese Bezeichungen finden sich im abwertenden Sinn, für "Ketzer" und "Sektierer" gebraucht, in unseren Texten ("Rottgesellen" i. S. v. "Anhängern, Spießgesellen" s. Bd. 2, 930, 25). In neutralen Sinne war das Wort "Rotte" noch bis ins 20. Jahrhundert etwa bei Streckenarbeitern der Eisenbahn in Gebrauch.

Für die Bedeutung einer meuternden Menge, wie sie seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich wird, dürfte die lange Zeit sprichwörtliche "Rotte Korach" aus Numeri (4. Mose) 16 wesentlich mitverantwortlich sein; dort wird geschildert, wie "Korach mit seiner ganzen Rotte" zur Strafe für ihren Aufstand gegen die Führung des Mose vom Erdboden verschlungen wird. (Offenbar ein Kapitel für sich, wenn auch vielleicht mit einem historischen Zusammenhang, sind die "Söhne Korachs", eine Sängergilde am Jerusalemer Tempel, der u. a. die Psalmen 42 und 44-49 zugeordnet werden.)

Eine spezifisch theologische Wortschöpfung vor diesem Hintergrund dürfte "Rottengeist" sein, womit ein Vertreter und insbesondere auch der Initiator einer bestimmten abweichenden Lehrmeinung ("Ketzerei") bezeichnet wird:

Jst doch vor zeiten einem jeden ketzer (so ers begert hat) auff den Concilijs macht gegeben worden, freien bericht vnd entschüldigung seiner Ler furzubringen, wenn er gleich öffentliche Gotteslesterung gelert hat, als dem Arrio vnd andern rottengeistern. Aber jtzundt kan so vielen Doctoribus, Stedten, Lendern vnnd nationibus solche freiheit von den widdersachern nicht widderfaren ...  (Joannes Waremundus [= Matthias Flacius Illyricus], Gemeine Protestation, unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 5, S. 147,8-13)

Vgl. Art. Rotte f. [II], in: DWb 14, 1315-1320 [bes. 3.a): 14, 1318]; Art. Rottengeist 2), in: DWb 14, 1320f; Rottgesell, in: DWb 14, 1322; Rottenmeister, in: 14, 1321.

PS: Um der Vollständigkeit willen sei vermerkt, dass im waidmännischen Gebrauch "Rotte" auch ein Rudel Wildschweine genannt werden kann, nach Grimm (DWb 14, 1320) auch ein Rudel Wölfe.

 (H.-O. S.)

 

 

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