Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Sauschwein

Wildeber (Foto: Paul Henri Degande, Pixabay License)
"Summa, es gehet jetzt nit anders, dann als wann vnser Herr Gott vber ein Land vnd volck grimmiglich erzürnet, nimpt seinen zaun oder schutz hinweg vnd lest hinein die wilden Sew, wie Esaias 6 [Jes. 5,5f] und der Psalm [Ps 80,13], auch Job [Hi 24,18] sagen, auff das sie die ware Religion vnd Kirchen grewlich verwüsten vnd die Gewissen verwirren vnnd betrüben, ja alles verderben, wie jetzt die vnchristianische Sawschwein thun." (Matthias Flacius Illyricus, Erzählung, wie der Religionsstreit Victorini geschlichtet (1563), unsere Edition Bd. 5, Nr. 15, S. 709,2429)

Der Terminus "Sauschwein" wurde in der Jägersprache für einen "Eber" verwendet. Flacius vergleicht hier also seine Gegner mit wilden Ebern, die das Land Gottes, seine Kirche, verwüsten und damit ihre Gottlosigkeit und Unchristlichkeit deutlich machen.

Diese Diffamierung seiner Gegner durch Flacius erinnert stark an die Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" vom 15. Juni 1520 gegen Martin Luther. Denn darin hieß es: "[...] denselbigen weinberg unterwindt sich zu verderben ein wild hauend swein aus dem wald und ein sunderlich wild thier inen zu verzern."

Die Übereinstimmung in der Intention und Wortwahl der beiden Texte wird überdeutlich, wenn man berücksichtigt, dass in beiden Dokumenten auf Psalm 80 zurückgegriffen wird: "Du hast einen Weinstock aus Ägypten geholt und hast vertrieben die Heiden und denselben gepflanzt. Du hast vor ihm die Bahn gemacht und hast ihn lassen einwurzeln, dass er das Land erfüllt hat. [...] Warum hast du denn seinen Zaun zerbrochen, dass ihn zerreißt alles, was vorübergeht? Es haben ihn zerwühlt die wilden Säue, und die wilden Tiere haben ihn verderbt." (Ps 80,914)

Erwähnenswert ist, dass Johann Pfeffinger ebenfalls das Bild des von einer Wildsau zerwühlten Weinbergs verwendete, allerdings gegen Flacius: "O ewiger, allmechtiger Gott, wie ein schöner, lustiger Weinberg ist auch in diesen Landen, zu deines lieben Sons, vnsers Herrn Jhesu Christi, Erbteil angelegt, vnd verhengest du nu (on zweiuel vmb vnser leichtfertigkeit vnd sicherheit willen), das ein wilde Saw aus dem holtze vnd singularis ferus denen so jemerlich zureisset, zuwület vnd zubeisset." (vgl. Johann Pfeffinger, Nochmals gründlicher und wahrhaftiger Bericht (1559), unsere Edition Bd. 5, Nr. 7, S. 263,1115).

Lit.:

Art. Sauschwein, in: DWb 14, 1928.

Exsurge Domine. 15. Juni 1520, in: Peter Fabisch, Erwin Iserloh (Hg.), Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521). 2. Teil: Vom Augsburger Reichstag 1518 bis zum Wormser Edikt 1521, Münster 1991 (CCath 42), S. 365.

[J.M.L.]

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