Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Schwärmer, Schwärmerei

"Darumb lasset euch niemand wider den Rath oder ewere alte Predicanten vmb der Schwermer willen bewegen, dieweil sie in ewerer Stadt vnd Kirchen solchen Tumult vnd zwytracht angerichtet haben." (Nikolaus von Amsdorf, Vermahnung an Rat und Bürgerschaft zu Magdeburg (1563), unsere Ausgabe Bd. 4, Nr. 8. S. 187,1417)

Bereits im Mittelhochdeutschen lassen sich die Worte "swarm" und "swaermen" in Bezug auf das Verhalten von Bienen nachweisen. Mit ihnen sollte ein als plan- und ziellos empfundenes Umherirren beschrieben werden. Dieser Entstehungskontext, gerade der Bezug auf Bienen, ist für die Bedeutung der Begriffe "Schwärmer" und "Schwärmerei" während der Reformationszeit überaus bedeutsam.

Denn zu Bienen lassen sich zahlreiche abergläubische Vorstellungen nachweisen. In den meisten Fällen galten sie zwar als verehrungswürdig und als Symbole der Keuschheit sowie der Jungfräulichkeit Mariens, doch gerade in Bezug auf einen Bienenschwarm gab es durchaus unheilkündende Vermutungen. Dies wurde noch durch die teils negativen Beurteilungen der Biene im Alten Testament (z.B. Deut 1,44; Ps. 118,12) und in der Kirchenväterliteratur verstärkt.

Eben in diesem Bedeutungszusammenhang verwendeten vor allem Martin Luther und seine Anhänger hier Nikolaus von Amsdorf gerne die Begriffe "Schwärmer" und "Schwärmerei", um ihre Gegner als Ketzer und Irrlehrer zu brandmarken, die in ihren Äußerungen eine theologische Ungenauigkeit und Unsicherheit erkennen ließen. 

Lit.:

Art. swarm, in: Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Taschwörterbuch. Mit den Nachträgen von Ulrich Pretzel, Stuttgart (38. Aufl.) 1992, 220.

Art. swaermen, in: Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Taschwörterbuch. Mit den Nachträgen von Ulrich Pretzel, Stuttgart (38. Aufl.) 1992, 220.

Art. Schwarm, in: DWb 15, 22832286.

Art. schwärmen, in: DWb 15, 22862290.

Art. Schwärmer, in: DWb 15, 2290.

Eduard Hoffmann-Krayer, Art. Biene, in: HWDA 1, 12261252.

Hans-Joachim Diekmannshenke, Die Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (1520-1536). Spuren utopischen Bewußtseins, Frankfurt/main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1994 (EHS.I: Deutsche Sprache und Literatur 1445), 337-340.

Karsten C. Ronnenberg, Vade ad apem et disce. Die Biene in der Bibel und das literarische Echo bei den Christen der ersten vier Jahrhunderte, in: David Engels, Carla Nicolaye (Hg.), Ille operum custos. Kulturgeschichtliche Beiträge zur antiken Bienensymbolik und ihrer Rezeption, Hildesheim, New York, Zürich 2008 (Spudasmata 118), 138164.

[J.M.L.]

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