Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Seelmörder

Also muß die arme Priesterehe sampt dem lieben Kelch des Herren inn zweyfel stehen, ob sy recht oder vnrecht sey, biß auff des Concilij bekendtnuß. Wer nun mitlerzeyt stirbt, der stirbt imm zweyfel. Seind das nicht Seelmörder? Erasmus Alber, Dialogus vom Interim, 1548, unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 11, S.  587,9-12.

Im sogenannten Augsburger Interim von 1548 wurde den Protestanten die Priesterehe und der Laienkelch beim Abendmahl zugestanden, und zwar für die Zwischenzeit (interim = zwischenzeitlich) bis zur Entscheidung durch ein allgemeines Konzil. In seinem Dialog lässt Erasmus Alber den Unterredner Albertus betonen, dass diese bloß vorläufige Regelung eine unerträgliche Verunsicherung für die Gläubigen darstelle, ganz besonders im Sterbefall, denn gerade für ein getrostes Sterben wäre es nötig, in Glaubensdingen Gewissheit zu haben. Stattdessen lasse man es insbesondere in der Schwebe, ob alle Getauften bei der Feier des Abendmahls auch den Wein empfangen sollten oder nicht, so dass Sterbende - denen im Idealfall noch ein letztes Mal das Abendmahl gereicht wurde - mit Zweifeln belastet würden (die Frage der Priesterehe war demgegenüber von untergeordneter Bedeutung). Für diejenigen, die diesen existenziellen Zweifel zu verantworten haben, hält Alber die Bezeichnung "Seelmörder" für angemessen. Der Ausdruck findet sich mehrmals in unserer Ausgabe, vgl. z. B. auch das Weimarer Konfutationsbuch, unsere Ausgabe Bd. 5, Nr. 11, S. 361,11f. Er steht in schärfstem Gegensatz zur Bezeichnung "Seelsorger", die eine der wesentlichen Aufgaben des Pfarrers benennt.

Vgl. Friedrich Lepp, Schlagwörter des Reformationszeitalters, Leipzig 1908, 118-123; Art. Seelmörder, in: DWb 16, 51f.  

(H.-O. S.)

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