Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Tyrann

"Zum letzten, last vns auch anruffen den Vatter vnsers Herrn Jhesu Christi, der mit seinem Sohn vnd heiligen Geist ein einiger Gott ist, Schöpffer Himmels vnnd der Erden, auff das er vns vmb des Herrn Jhesu Chrjsti willen mit seinem Heiligen Geist stercken, lehren vnd rüsten wolle, auff das wir widder diese Gottlose tyrannen alles dasjhenige thun mügen, das zur ehre Gottes vnnd zur seeligkeit des armen menschlichen geschlechts gereichen mag." (Matthias Flacius Illyricus, Eine gemeine Protestation (1548), unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 5, S. 178,1924)

In der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. wurde der Begriff "Tyrann" zum ersten Mal angewendet, als Bezeichnung für den Lyderkönig Gyges. Dies geschah ohne jegliche negative Konnotation. Auch in der griechisch-archaischen Lyrik und selbst der lateinischen Dichtung über mythische Könige wurde der Begriff frei von jeder pejorativen Assoziation verwendet. Die Tyrannen Siziliens im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden sogar durchaus positiv gezeichnet.

Allerdings war der Begriff "Tyrann" in der antiken Welt niemals die Selbstbezeichnung eines Herrschers. Vielmehr wurde er im politischen Kontext zu einem Kampfbegriff von Aristokraten gegenüber einem Standesgenossen, der sich heraushob. Es wurde damit eine an Macht und Reichtum hervorragende Person gekennzeichnet, die aufgrund dessen eigentlich beneidenswert war. 

Im 5. Jahrhundert v. Chr. erhielt der Begriff dann durch die Erfahrungen der Griechen in den Perserkriegen und durch die Verfassungsdebatten die Bedeutung des Schimpfnamens. Es wurde damit ein Herrscher beschrieben, der gewalttätig, habgierig, ruhmsüchtig, den Schmeichlern verfallen war und die Freiheit unterdrückte. Ausgehend von Aristoteles und Cicero, die einen schlechten Herrscher als "Tyrannen" bezeichneten, und der ebenfalls überwiegend negativen Verwendung des Begriffs im biblischen Kontext, übernahmen mittelalterliche und frühneuzeitliche Denker diese Deutung.

In der Reformationszeit wurde der Begriff vor allem zu einem Schlagwort von Theologen wie Thomas Müntzer.  Sie bezeichneten damt die Herrscher, die sich der Ausbreitung des Gottesworts widersetzten und damit ihrer Gottlosigkeit Ausdruck verliehen. 

Eben in diesem Sinn verwendet Flacius hier den Begriff, noch deutlich hervorgehoben durch das voranstehende Adjektiv "Gottlose". Er will damit alle Obrigkeiten, die sich dem Augsburger Interim unterwerfen als Zerstörer der Kirche, Verräter der göttlichen Wahrheit und damit als Widersacher Gottes selbst brandmarken.

Lit.:

Hans-Joachim Diekmannshenke, Die Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (1520–1536). Spuren utopischen Bewußtseins, Diss. Bonn 1992, Frankfurt/Main u.a. 1994 (EHS.DS 1445), bes. S. 135139.

Justus Cobet, Art. Tyrannis, Tyrannos, in: NP 12/1 (2002), Sp. 948950.

[J.M.L.]

 

 

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