Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Vielwäscher, Wäscher

Es gehören ander Leut darzu denn Philosophi vnnd die Vilwescher, so auß jrem refugio miserorum ['Zuflucht der Armen', ironische Bezeichnung für ein Scheinargument, das alles und nichts beweist, eigtl. ein Beiname der Gottesmutter Maria] alles recht oder vnrecht sprechen können pro tempore et persona [was Zeit und Person betrifft]. (Anton Otho, Gütlicher Bericht von den Antinomern, 1559, unsere Ausgabe Bd. 4, Nr. 5, S. 129,37-130,3)

Anton Otho geht davon aus, die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium könne nicht ohne Glaubensernst erkannt und bestimmt werden. Es genüge nicht, jedes beliebige Ergebnis mit Hilfe argumentativer Tricks begründen zu können, wie es die Art von dialektisch geschulten Philosophen und manipulativen Schwätzern sei.

Man kan aber wol dencken, worumb die listigen Leut solche Leut fordern, nemlich das sie durch solche wescher das volck zubereiten zu den künfftigen verenderungen des Concilij, welches auch im Merßburgischen vnnd Naumburgischen Bisthumb durch etliche gebetlein geschicht vnnd zu Magdeburgk auch ist versucht worden. (Matthias Flacius Illyricus, Wider den Euangelisten des heiligen Chorrocks D. Geitz Maior, 1552, unsere Ausgabe Bd. 3, S. 95, 9-14)

Flacius sieht auf Seiten seiner Gegner die Strategie, unter dem Kirchenvolk Stimmung zu machen und den Boden zu bereiten für die Wiedereinführung von altgläubigen Bräuchen, die im Zuge der Reformation abgeschafft worden waren. Deshalb unterstütze man Schwätzer wie Georg Major, die den Bereich der heilsirrelevanten Mitteldinge (Adiaphora) in unverantwortlicher Weise ausdehnten.

Die Reinigung der Wäsche war (nicht nur) in der Frühen Neuzeit meist Frauensache. Als die Waschmaschine und das selbsttätig wirkende Waschpulver noch nicht erfunden waren, erforderte das Wäschewaschen einen sehr hohen Aufwand an Zeit und körperlicher Anstrengung. Wer es sich leisten konnte (und nicht eigene Dienstboten damit beauftragen konnte), ließ seine Wäsche von Lohnwäscherinnen erledigen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten, für andere Wäsche zu waschen. Nach dem Kochen der Schmutzwäsche (mit Buchenasche, so dass eine Lauge entstand) kam man meist an öffentlichen Waschplätzen zusammen, wo reichlich fließendes Wasser  zur Verfügung stand und oft auch Wiesen in der Nähe lagen, auf denen Weißwäsche zum Bleichen ausgelegt und kontinuierlich gewässert werden konnte (der vom Gras bei der Photosynthese freigesetzte Sauerstoff hat "in statu nascendi" bleichende Wirkung (Sauerstoffradikale), außerdem bilden sich unter Sonneneinstrahlung Peroxide, die ebenfalls bleichen). Während der stundenlangen Arbeit bot sich Gelegenheit, den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen, und da die Wäscherinnen in der Regel keine oder nur geringe schulische Bildung genossen hatten, wurde das Gesprächsniveau entsprechend niedrig veranschlagt.

Daher lag es nicht fern, dummes Gerede als "Gewäsch", und einen gedankenlosen Schwätzer als "Wäscher" oder "Waschweib"  zu bezeichnen (während "Wäscherin" Berufsbezeichnung blieb und kaum zur Invektive mutierte!)

Allerdings stellt Grimms Wörterbuch fest, dass das Wort "waschen" im Sinne von "plaudern" ursprünglich nicht mit "waschen" im Sinne von "(mit Wasser) reinigen" zusammengehöre, jedoch früh damit in Verbindung gebracht worden sei.

Vgl. Art. viel III.6.b), in: DWb 26, 213; Art. waschen 8), in: DWb 27, 2242-2245; Art. Wäscher, in: DWb 27, 2246-2249; Art. Wäscherin, in: DWb 27, 2250f; allg. Reinhold Reith, Art. Wäsche, in: Enzyklopädie der Neuzeit 14 (2011), 661-664.

Vgl. auch den (künftigen) Art. Lügenwäscher.

(H.-O. S.)

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