Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Wetterhahn

Wetterhahn der Stockholmer Klarakirche (Foto: Bengt Olof Åradsson)
Denn Er [Hieronymus Mentzel] hat der Schrifft, Chrysostomi, Augustini vnd Lutheri wort in solcher Bekendtniß gesetzt, vnd solches nicht vnbedechtig noch vbereylet, Sondern mit gutem bedacht die auffs Pappier gebracht, wol bewogen vnd memoriret, Auch im namen aller Prediger inn der Graueschafft Manßfelt außwendig für Fürsten vnnd Herrn recitiret vnnd bekandt, Auch andern (sie in solcher Christlicher meinung zu stercken) schrifftlichen mit seiner eigen hand geschrieben zugeschickt. Aber als ein vnbestendiger Mensch vnd Wetterhan hat er solchs hernach gantz vnbedechtig widerruffen ... (Cyriakus Spangenberg, Mencelii Lehre von der Erbsünde, 1575, VD 16 S 7633, Bl. B3v, unsere Ausgabe Bd. 6, Nr. 20, S. 664, Z. 18-26).

Cyriakus Spangenberg wirft seinem Kontrahenten Hieronymus Mentzel vor, dieser habe bereits gewonnene, wichtige theologische Einsichten, die er zuvor mit Worten der Heiligen Schrift, mit Zitaten der Kirchenväter Johannes Chrysostomos und Aurelius Augustinus und mit Texten Luthers belegt und bekräftigt habe, nunmehr ohne Not und leichtfertig verworfen. Wie Spangenberg und Flacius habe auch Menzel vordem die Auffassung vertreten, der natürliche Mensch sei nicht nur Sünder, sondern geradezu Sünde, und man dürfe die Sünde keinesfalls als etwas bloß Äußerliches , ein Accidens, bezeichnen. Jetzt aber sei er umgeschwenkt wie eine Wetterfahne, die sich von wechselnden Winden hin und her treiben lässt, und zeige keinerlei Überzeugungstreue. Deshalb nennt er ihn einen unbeständigen Menschen und Wetterhahn. Dabei dürfte auch die Symbolik des Hahns, der auf den Verrat des Petrus verweist, eine Rolle spielen (Mt 26,34.75; Lk 22,34.61; Joh 13,38; 18,27). Man vergleiche überdies das von Luther oft gebrauchte Wort "wetterwendisch" und den Ausdruck "wetterhähnisch". In  beiden Fällen geht es um Wankelmut und Unbeständigkeit, während der Aspekt der Wachsamkeit hier offenbar ebensowenig eine Rolle spielt wie die Verkündung des Tagesanbruchs bzw. im übertragenen Sinn die Verkündigung des Evangeliums oder das Festhalten am Glauben (zu letzterem vgl. DWb 29, 730f).

Vgl. Art. Hahn 7), in: DWb 10, 164; Art. Wetterhahn 1.b), in: DWb 29, 731f; Art. wetterhähnisch, in: DWb 29, 733; Art. wetterwendisch, in: DWb 29, 773-775.

(H.-O.S.)

Zur Übersicht