Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Zungendrescher

Es bringet Flacius itzund vber die andere vorige, schedliche, boshafftige vnd Gottlose fürnemen ein newes auff, vnd disputirt noch handelt nicht die Sachen, so er fürnimpt, nach gestalt vnd art derselben, auch nicht wie der Gelerten vnd warheit liebenden gewonheit ist, sondern Articulirt vnd setzet seines gefallens, wie ein Procurator [= Prozessbevollmächtigter, Anwalt], was er vermeint jm dienlich vnd andern nachteilig, zwackt stückweis aus richtigen, ordentlichen schreiben, was er wil, leget das aus, wie es jm dienlich, henget ein Glöslin oder notabile daran, lesset aussen, thut dazu, macht auslegung, volge vnd deutung aus seinen hessigen, jrrigen vnd neidischen Schwindelhirn. Wolan, dieweil denn der Handel zu der Procurator vnd Zungendrescher Handwerck oder maulwerck gereicht [...] vnd sol Replicirt vnd triplicirt werden, wollen wir vns der armen, vberwundenen, ausgeholhippelten, verdampten (in des Procurators sinn) Adiaphoristen nach vnserm vermügen annemen [...] Wittenberger Studenten, Summa und kurzer Auszug aus den Actis Synodicis (1560), unsere Ausgabe Bd. 2, Nr. 10, S. 938,9-22.

Der metaphorische Ausdruck ist aus dem agrarischen Bereich entlehnt: im Hochsommer wurde das Getreide geerntet, die Garben brachte man auf die Tenne, wo sie im Spätherbst und Winter, wenn die Feldarbeit ruhte, ausgedroschen wurden, um die Getreidekörner vom Stroh und von der Spreu zu trennen. Dafür benutzte man einen bzw. meist mehrere Dreschflegel. Ein Dreschflegel besteht aus zwei miteinander durch ein (ledernes oder eisernes) Gelenk verbundenen Holzstäben, der längere dient als Stiel, und mit ihm wird der kürzere, dickere Stab auf die Garben geschlagen, so dass sich die Körner von den Halmen lösen. Wenn mehrere Personen miteinander dreschen, ist es wichtig, einen gemeinsamen Schlagrhythmus zu finden und durchzuhalten, damit sich die Flegel nicht berühren und Verletzungen der Drescher vermieden werden. Das Dreschen war eine schwere körperliche Arbeit, und unter den Dreschern herrschte nicht selten ein rauher Umgangston. Im 16. Jahrhundert (und darüber hinaus) bezeichnete man insbesondere Juristen als Zungendrescher, anscheinend weniger aus dem Gedanken heraus, dass in den Verhandlungen leeres Stroh oder Phrasen gedroschen würden, als vielmehr vor dem Hintergrund, dass die Advokaten mit Hilfe des erst allmählich eingeführten römischen Rechts heftige Schläge austeilen und mittels ihrer Zungen recht effektiv persönliche Vorteile erreichen konnten. Heute entspräche dem Zungendrescher in diesem Sinne etwa die Invektive "Rechtsverdreher". Bisweilen findet sich allerdings auch ein allgemeinerer Gebrauch, etwa im Sinne des (böswilligen, hinterhältigen) Schwätzers. Vgl. Art. Zungendrescher, in: Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 32, 610-612.     (H.-O. S.)

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