Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Affensteiger

Also spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute höchsten Trost vnd Seligkeit vnd ertichtet ein besonder Strass vnd Leiterlin, darauff der Affensteiger die vnuerstendigen wil bereden, in Himel, in die vnerforschliche Geheimnis der göttlichen Maiestet zu klettern vnd steigen. Vnd füret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Liecht (das vns Gott selbst hat zu einer Fackel vnser Füsse angezündet Vnd damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch seine stinckende bittere Rauchbrende in noch vil tüstere vnd eusserste finsternis, damit wir durch erkündigung der vnerforschlichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen Gottes verlieren vnd nimermehr zur rechten Warheit, Liecht vnd Erkentnis komen mügen, sondern in solchem finsternis Nacht für tag, Lügen für warheit halten vnd hören müssen. (Weimarer Konfutationsbuch, C 2r / fol. 6a; unsere Ausgabe Bd. 5, Nr. 10)

Die Bezeichnung "Affensteiger" ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig (1489-1561) gerichtet, der einen Sonderweg zur Seligkeit verkünde, auf dem er diejenigen, die seinen Lehren folgten, ins Verderben führe.

Ein Artikel "Affensteiger" findet sich weder in Grimms Wörterbuch noch im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch; dort (Fnhd. Wb. 1, 673) gibt es immerhin Einträge unter "affensteg" und "affenweg" in der Bedeutung "Holzweg", das ist ein Weg, der nicht zu einem Ziel, also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft od. dgl.,  führt und nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ist; ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur für die Forstwirtschaft von Bedeutung. An anderer Stelle (Confessionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz, Geraw, Schönburg u.a., 1567 [VD 16 M 5038; ZV 10917; ZV 10919], X 2v; Christoph Obenhin, Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen ..., 1569 [VD 16 ZV 11901], R 4v) findet sich der Ausdruck "himmlische Affensteiger" in Parallele zu der Wendung "entzückte Enthusiasten", so das man wohl nicht fehlgeht, wenn man unter "Affensteiger" einen Phantasten und Schwärmer versteht, der plan- und ziellos agiert. Der Affe gilt als töricht. Man vergleiche noch das heute gebräuchliche charakterisierende Beiwort "verstiegen" (= abwegig, abseitig, eigenwillig, sonderbar, überspannt).

Vgl. Art. Affe, in: DWb 1, 182; Art. versteigen C), in: DWb 25, 1710.

 (H.-O. S.)

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