Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Bauchknecht, Bauchprediger

Johannes Agricola, genannt Eisleben, Mitarbeiter am Augsburger Interim, Superintendent der Kurmark.
Agricola als gelehrter Esel vor dem Interimsdrachen, zeitgenössische Karikatur, Titelblatt von "Schöner Lieder Zwei", zum ersten der Lieder: "Von Grickel Interim" (vgl. C&C 1, Nr. 18)

Cornelius: Jch weyß wol, das Eißleben ein Bauchknecht ist vnnd ein spötter der Religion, dem es gleich vil gilt, was man predigt oder glaubt. Er neme gelt vnd hielt Papistische Mesß in aller Teüfeln nammen. Erasmus Alber, Dialogus vom Interim (1548), unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 11, S. 563,4-6.

Hörest du es, du Bauchprediger, daß du Weyb vnd Kind hast, das hast du nach Gott weder dem Meyster Moritzen, noch Hertzog Georgen zu dancken, sonder dem Churfürsten zu Sachssen. Daß du aber nit danckbar bist, deß solt du deine lohn empfahen sampt allen, die dem Churfürsten feind sein. AaO S. 619,12-16.

Wie etliche andere der hier vorgestellten Invektiven, so verdanken sich auch die Bezeichnungen "Bauchknecht" und "Bauchprediger" biblischen, insbesondere neutestamentlichen Vorlagen. Der Apostel Paulus warnt gegen Ende seines Briefes an die Gemeinde in Rom vor Irrlehrern: "Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, dass ihr euch in acht nehmt vor denen, die Zwietracht und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und euch von ihnen abwendet. Denn solche dienen nicht unserm Herrn Christus, sondern ihrem Bauch; und durch süße Worte und prächtige Reden verführen sie die Herzen der Arglosen." (Röm 16,17f; daneben kann man auch an Phil 3,18f denken.)

Das erste Zitat richtet sich gegen Johann Agricola aus Eisleben, der als kurbrandenburgischer Hofprediger von protestantischer Seite an der Abfassung des Augsburger Interims beteiligt war, durch das auf Verlangen Kaiser Karls V. der altgläubige Kultus im Reich auch bei den Protestanten weitestgehend wiederhergestellt werden sollte. Erasmus Alber lässt den Gesprächsteilnehmer Cornelius unterstellen, dass Agricola käuflich und ohne echte religiöse Überzeugung sei.

Das zweite Zitat zielt insbesondere auf diejenigen Pfarrer und Prediger in den vormals ernestinischen Gebieten Sachsens, die dem Verbot des neuen Landesherren Moritz nachkamen und die Fürbitte für den bisherigen Landesherren und Kurfürsten Johann Friedrich I. unterließen. Für Alber äußerte sich darin grober Undank gegenüber dem früheren rechtmäßigen Landesvater; dass es zugleich eine hochpolitische Frage war, für welche Obrigkeiten in einem Territorium öffentlich im Gottesdienst Fürbitte getan wurde, ignoriert Alber dabei geflissentlich. Mit dem Usurpator Moritz wird auch gleich noch sein verstorbener Onkel, Herzog Georg der Bärtige, mit abgestraft, der ein engagierter Verteidiger des alten Glaubens war.

Die Komposita auf Bauch- besagen allesamt, dass die so Apostrophierten allein an irdischen, materiellen Dingen und an ihrem ganz persönlichen Wohlergehen und -befinden interessiert und dadurch motiviert seien, ohne Rücksicht auf anderweitige Verluste. Das gilt auch für die Bezeichnung "Bauchkrieger", mit der Alber in Bd. 1, S. 625, Z. 27, den - nach Meinung Albers des Verrats schuldigen - Hauptmann Wolf von Schönberg belegt.

Lit.: Friedrich Lepp, Schlagwörter des Reformationszeitalters, Leipzig 1908, S. 131-134 (mit zahlreichen weiteren Komposita).              (H.-O. S.)

 

 

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