Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Beerwolf, Bärwolf

Angriff eines Werwolfs, Lucas Cranach d.Ä., Holzschnitt, 1512, Landesmuseum Gotha.
"Gebt dem Keiser, was Keisers ist",
also man list,
"viel mehr aber Gott dem Hern!"
So fern ehr wider Gott nicht strebt
vnd fridlich lebt,
braucht sein ampt Got zu ehrn.
Jm vberschrit
ist ehr mehr nit
Keiser noch Her,
auffrürisch mehr,
eim Beerwolff sol man wehrn. Joachim Greff, Trostlied für Johann Friedrich v. Sachsen (1548), Strophe 10; unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 20, S. 924,23-925,7.

Der Beerwolf/Berwolf/Bärwolf ist ein Fabelwesen, volksetymologisch abgeleitet von "Werwolf", man versteht darunter einen Menschen, der sich (unter bestimmten Umständen oder zu bestimmten Zeiten, etwa bei Vollmond o. dgl.) in ein blutrünstiges Tier nach Art eines Wolfes oder Bären verwandelt. Die eigentliche Bezeichnung im Griechischen ist lykanthropos = Wolfsmensch, in unseren Texten findet sich auch die Gräzisierung arktolykos = Bärenwolf (vgl. unsere Ausgabe Bd. 2, Nr. 5, S. 558,15).

In dem Lied des Dessauer Rektors Joachim Greff ist die Bezeichnung auf Karl V. gemünzt, der seine Amtsbefugnisse als Kaiser überschritten habe, indem er das Evangelium bekämpfte (insbesondere im Schmalkaldischen Krieg), und dem deshalb Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen pflichtgemäß widerstanden habe. Greff nimmt damit eine Widerstandstheorie auf, die sich erst allmählich im Luthertum entwickelt hatte. Luther hatte anfänglich allenfalls passiven Widerstand gegen obrigkeitliche Gewaltmaßnahmen für statthaft gehalten, erst ab etwa 1530 ließ er sich überzeugen, dass aufgrund der Verfassungsstruktur des Reiches auch untergeordnete Obrigkeiten zum Schutz ihrer Untertanen  gegenüber Angriffen gleich- oder übergeordneter Instanzen verpflichtet seien. Justus Menius und Philipp Melanchthon vertraten diese Auffassung offensiv in der Schrift "Von der Notwehr" (1547), sie ging auch in das Magdeburger Bekenntnis von 1550 ein. Auch Erasmus Alber bezeichnet den Kaiser, König Ferdinand und mit ihnen verbündete Fürsten als Beerwölfe (vgl. unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 11, S. 591-593). Gelegentlich wird auch der Papst bzw. der Antichrist als Beerwolf bezeichnet (vgl. unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 11, S. 592, Z. 21). Es findet sich außerdem die polemische Bezeichnung "Beerwolfstag" für den Reichstag (vgl. unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 11, S. 593,2).

Lit.: Vgl. Art. Bärwolf, in: DWb 1, 1146; Art. Beerwolf, in: DWb 1, 1244; Art. Werwolf,
in: DWb 29, 504–507; Art. bärwolf, berwolf, in: Fnhd. Wb. 3, 55.  –  H.-O. Schneider (Hg.): Politischer Widerstand als protestantische Option. Philipp Melanchthon und Justus Menius: Von der Notwehr (1547). Lateinisch - Deutsch, Leipzig 2014.      (H.-O. S.)

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