Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Diltap

Erhard Schoen, Illustration zu Hans Sachs, Gesprech mit fünff personen, haist die ewlen-paiß (Eulen-Beitze), 1532. Die alte Kupplerin spricht: "Mein lock-vogel, den thu ich loben. Er lockt herzu ewlen und drappen, Aufsitzen guckgu und dildappen..."
Zum andern hab ich jr auch deste mehr eingefüret, das sie nicht sprechen, wann ich nur ein einiges eingefürt hette, es mochte jm vielleicht ongencklich also entfaren sein, wie der alte Tieltappe zu Gota ein mal zu mir saget, da ich jm D. Luthers auslegung vber den 4. Vers des 51. Psalmens von der vernewerung des heiligen Geistes zeigt: es wer ein einiger Locus, „man wird jr freilich nicht viel mehr finden, da D. Luther vff solche meinung geschrieben hett.“ Aber wie er ein Tieltappe drey vnd dreissig jare gewesen ist, bleibt ers fortan auch wol. (Justus Menius, Kurzer Bescheid (1557), E 1v–E 2r, in: unsere Edition Bd. 3, 432,1–8).

Das von Menius hier gebrauchte Wort „Tieltappe“ stellt eine lautmalerische Abwandlung des Begriffs „Diltap“ dar. Dabei handelt es sich um eine im 16. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung für einen Tölpel oder Trottel. Wen Menius an dieser Stelle konkret meint, kann nur aus dem Zusammenhang erschlossen werden.

Seit 1554 musste sich Menius gegen den Vorwurf verteidigen, er würde die Ansicht Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigen. Eben in diesem Jahr war er zusammen mit Erhard Schnepff, Johann Stoltz und Nikolaus von Amsdorf in die Visitationskommission für das ernestinische Herzogtum Sachsen berufen worden. Gerade Amsdorf war Hauptkritiker von Menius und verlangte eine klare Distanzierung von verschiedenen Schriften der Wittenberger Theologen, ja deren Verdammung. Da Menius angab, diese Publikationen nicht zu kennen, weigerte er sich, der Forderung Amsdorfs nachzukommen. Stattdessen überreichte er seinen Visitatorenkollegen in Gotha 110 Thesen, um seine Haltung zu verdeutlichen. Dazu stellte Amsdorf wiederum Gegenthesen.

Da Menius in der oben zitierten Passage ausdrücklich Gotha als den Ort erwähnt, wo die Auseinandersetzung mit dem „Tieltappe“ stattgefunden habe, liegt es nahe zu mutmaßen, dass Menius hier einen seiner Visitationskollegen von 1554 meint. Dabei gerät sofort Amsdorf als der Hauptgegner von Menius in Gotha ins Blickfeld. Berücksichtigt man fernerhin die weitere Aussage von Menius, dass diese Person angeblich seit 33 Jahren ein „Tieltappe“ sei, so kommt man kaum umhin, tatsächlich Amsdorf als den hier angegriffenen „alten Trottel“ zu identifizieren. Denn dieser begann seine berufliche Laufbahn in Magdeburg 1524, mithin 33 Jahre vor Abfassung der hier zitierten Schrift des Menius.

Dies stellte eine besonders niederträchtige öffentliche Verunglimpfung seines Gegners durch Menius dar, da Amsdorf schon seit 1551 auf sein "alder vnd schwachheit meins leibs" (Reichert, Amsdorf, 254 [B 137]) verwies und schließlich angeblich halb blind, taub und stumm wurde (So bei Rogge in TRE 2 (1978), S. 494, Z. 5f).

Lit.: unsere Edition Bd. 2, 393–395, 411–415; Art. Diltap, Dildap, in: Fnhd.Wb. 5, 727f; Art. Diltap, in DWb 2, 1151.  (J. M. L.)

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