Schimpfwort des Monats

Die Autoren der Streitschriften pflegten eine starke und sehr bildhafte Sprache. In einer Zeit, in der die Alphabetisierungsrate sehr niedrig lag, war es ein probates Mittel, den Gegner durch Beschimpfung wirksam und einprägsam zu charakterisieren und zu beschreiben, um so die eigene inhaltliche Argumentation zu verstärken. Die polemische Sprache ist auch als Ausdruck der starken inneren Beteiligung der Kontrahenten zu verstehen. An dieser Stelle werden einzelne Invektiven aus dem Schriftencorpus im Zitat nachgewiesen und erläutert.

Theosophist

Das aber diese Theosophisten furgeben, als dringe man sie zur alten Religion wider Gottes gepot, ist vnwarhafftig vnd wirt sich im grund nymmer mehr finden. (Georg Witzel, Beständige Antwort (1549), unsere Ausgabe Bd. 1, S. 867,28–30).

Der Doppelkonvertit Georg Witzel verteidigte die kaiserliche Religionspolitik nach dem Schmalkaldischen Krieg. Für ihn konnte allein der Kaiser den Religionsdissens im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation lösen. Das „Augsburger Interim“ von 1548 sah er daher als einen richtigen Schritt auf dem Weg zur Wiederherstellung der Kultuseinheit im Reich an. Den Evangelischen unterstellte er darum, dass ihre Klagen über den Inhalt des „Augsburger Interims“ und einer angeblich tyrannischen kaiserlichen Religionspolitik Verunglimpfungen seien.

Dieser Argumentation diente auch das Schlagwort „Theosophist“, dessen Verwendung bislang nur bei Witzel nachgewiesen ist. Witzel verband hier die Begriffe „Theologe“ und „Sophist“ miteinander. „Sophisten“ waren in der Antike zumeist Philosophen, die als umherziehende Lehrer und Erzieher tätig waren. Dabei lässt sich bei ihnen eine Konzentration auf die Erziehung in der „Kunst der Wohlberatenheit“ oder Politik ausmachen. Aufgrund dessen legten sie ein besonderes Gewicht auf die Ausbildung rhetorischer Fähigkeiten. Vor dem Hintergrund der negativen Beurteilung der Sophistik durch Platon erklärt sich die negative Bedeutung des Wortes „Sophist“ in der Reformationszeit als eines „Manipulators“ oder „Wortverdrehers“.

Durch die Verbindung der Worte „Theologe“ und „Sophist“ charakterisierte Witzel die evangelischen Theologen somit als „Evangeliumsverdreher“. Er wollte damit die Evangelischen als per se unglaubwürdig und damit ihre Kritik am „Augsburger Interim“ als falsch und ungerechtfertigt darstellen.

Das Schlagwort „Theosophist“ erinnert auch an das Schimpfwort „Theologist“, das zumeist von Luther verwendet wurde, um seine Gegner als schriftlose und sophistische Theologen zu bezeichnen.

Weitere Literatur: Michel Narcy, Art. Sophistik, in: NP 11 (2001), 723 – 726; Margarita Kranz, Art. Philosophie, in: NP 15/2 (2002), 339 – 349, bes. 343f; Lepp, Schlagwörter, 88     (J. M. L.)

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